Im Herbst letzten Jahres fragte mich jemand aus dem Arbeitsumfeld: "Sie waren ja in diesem Jahr zweimal im Urlaub?!" mit irgendwie vorwurfsvollem Unterton in der Stimme. Seitdem habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich meinen Bus ein zweites Mal im Jahr sattel, um länger als ein Wochenende herumzufahren. Ich mache meinen Betreuerjob jetzt seit 27 Jahren und bilde mir ein, hin und wieder etwas Gutes für andere Menschen erreicht zu haben. Jetzt bin ich 60 und schaue mehr auf mich. Der Betreuer-Arbeitsalltag ist so fordernd, dass ich denke, dass es eine durchaus gute Idee ist, um noch bis zur Rente zu kommen.
September 2020
Dangast/ Nordsee
Was habe ich bei dieser Reise gefunden? Zunächst Dangast. Eigentlich bin ich dort nur gelandet, weil ich müde war und mir die letzten Kilometer bis ganz nach oben schenken wollte. Und fand einen Platz im alten Hafen, sehr muckelig und mit genügend Abstand. Meine Reisen plane ich meist nicht wirklich, allenfalls weiß ich, wo es etwa hingehen soll. So war dieser Zufallstreffen wieder mal eine schöne Überraschung.
Es braucht Zeit bis ich von meinem derzeit durchschnittlichen 10-Stunden-Tag auf Erholung umschalten kann. Es dauert mindestens eine Woche, manchmal reichen zwei nicht mehr aus. Und dennoch weiß ich, dass ich dankbar sein muss, weil ich viele Aufträge habe und bin es auch, da ich die Herausforderungen der Arbeit schätze. Es ist für mich eine Ehre, so viel Vertrauen geschenkt zu bekommen, dass ich in andere Leben schauen darf und dort etwas zum Besseren wenden kann. Aber es eben auch anstrengend, wenn man nicht genügend Pausen einbaut.
Dangast also zunächst. Hat ein muckeliges Örtchen, viele Künstler fanden dort ihr Zuhause. Und es hat unfassbar viel Watt. Schlick und Schlamm bis an den Horizont. Sogar die Boote im Hafen liegen bei tiefer Ebbe im Matsch. Und es gibt dort das glitschigste Watt, auf dem ich je gelaufen bin. Fast jeder Schritt ein Rutscher, unbelievable.
Ja, und es hat den phantastischsten Sonnenuntergang, den ich bisher gesehen habe. Eine glutrote Sonne vor der Hafenkulisse - zum Niederknien! Diese Momente sind es, in denen ich dafür dankbar bin, dass ich auf der Welt bin.
Camp Marina, Fuestrup/ Münsterland
Im Münsterland kann man tatsächlich Schiffe gucken! Am Kanal in Fuestrup gibt es einen Stellplatz, der 2020 noch klein war, aber nun an Größe bzw. Enge nicht unerheblich zugenommen hat, weil in Coronazeiten alle Welt Camping entdeckt hat. Steht man in der ersten Reihe sieht man sie gut, dahinter erhascht man einen Blick auf die großen Schlepper, die RIchtung Nordsee und zurück tuckern. Nicht übel für so einen Wohnmobiltag, auch wenn es sich an Tag zwei bereits ein bisschen zu wiederholen beginnt. 2020 gab es noch einen sehr guten und netten Jugoslawen direkt im Hafen, der leider mittlerweile in Rente gegangen ist. Was macht man da sonst? Man kann radfahren, es ist halt das Münsterland. Und weiterfahren.
Mai 2024
Habichtswald
Was habe ich in diesem Jahr lange überlegt, wohin. Das wird irgendwie immer "schlimmer", wie die Sache mit dem zu vollen Kleiderschrank. Wenn du überall hinkannst, bist du schon vom Nachdenken darüber so erledigt, dass du dringend Urlaub brauchst. Nur: wo? Also hab ich das Busschen gepackt, der übrigens noch immer keinen Namen hat, außer "Bus" und bin erstmal nur 1,5 Stunden Richtung oben gefahren. Das war dann der Habichtswald. Hier hatte man mir einen Camping mit Sauna und Schwimmbad versprochen "Wellness-Camping". Ich komme also ordentlich nach der Mittagspause an und man empfängt mich mit einer Miene, die mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Egal, ich war voller Vorfreude auf die Sauna, ein super-Urlaubsstart wie ich dachte. Und dann: "Die Sauna ist montags und dienstags geschlossen." Ich überlege kurz: welcher Wochentag? Montag! Sch... "Oh nein", sag ich dem Platzwart, "bin extra deswegen gekommen." Vielleicht fahre ich dann morgen schon." "Zahlen müssen Sie trotzdem!" Wer wollte diesem Ton widersprechen? Abends zumindest noch den Pool ausprobiert, allerdings war das gelbliche Wasser so kalt, dass ich schnell wieder raus bin. Das Gute an der Misere: ich stehe hier also bis morgen rum, hab mal die Gummis meiner Busfenster gefettet, was ihn gleich um Jahre jünger aussehen lässt und komme nach vier Jahren endlich mal wieder zum Schreiben! Morgen geht es weiter nach... oben.
17. Juni 2024
Bochum, Herberts 40.
Was für ein Konzert! 40 Jahre Bochum und wie sehr haben wir Pottler die Scheibe geliebt! Nicht alles drauf, wie Herbert sagt, Nr. 7, 8 und 9, „da müssen wir jetzt durch“. Naja, wie im richtigen Leben halt. Aber der Rest! Heute wir damals jede Menge gute Laune, Identitätsgefühl und ein Miteinander, als ob es kein Morgen gäbe. Nun, in diesen Zeiten ist das Morgen tatsächlich irgendwie unsicherer geworden, umso wichtiger dieses Miteinandergefühl. Künstler und ZuhörerInnen konnten auch nach 3,5 Stunden Konzert (die Band war schon schlafen gegangen) kaum voneinander lassen. So schön! Danke Herbert und deinen phantastischen Musikern und Danke an euch Bochumer! Es war ein außergewöhnlich rührender und zu Herzen gehender Abend, der einmal mehr die Heimweh-Ecke hat klingen lassen. Der Stellplatz: Beim Starlight Express, direkt neben der B1. Pott halt, schön jetzt nicht, aber passte. Nur, dass ich drei Tage später Covid bekam - ich versuche, es nicht darauf zurückzuführen. :-D